Über Gaslighting in Politik, Familie und Beziehungen

„Das bildest du dir ein.“ – Ein Satz, der zerstören kann. Nicht nur in Partnerschaften. Auch in Talkshows, Wahlkämpfen oder Kindheiten. Wer Gaslighting einmal erlebt hat, erkennt es überall. Und fragt sich: Wie trennt man Wahrheit von Manipulation?

Was wie ein psychologisches Nischenthema klingt, ist längst gesellschaftliche Realität. Politikerinnen und Politiker behaupten das Gegenteil dessen, was noch vor Wochen galt. Eltern verdrehen Geschehnisse der Kindheit. Und in Beziehungen wird aus dem Satz „Ich habe das so empfunden“ plötzlich ein Angriff – auf die Wahrheit. Aber welche?

#67 – Zusammenfassung Auto-Slide

Was ist Gaslighting – und warum ist es so gefährlich?

Gaslighting ist psychische Manipulation durch das systematische Infragestellen der Wahrnehmung anderer Menschen. Der Begriff stammt aus dem Theaterstück „Gas Light“ von 1938, in dem ein Mann seine Frau gezielt in den Wahnsinn treibt, indem er Lichter dimmt – und ihr dann einredet, sie bilde sich das ein.

Heute passiert das subtiler. In Familien. In Partnerschaften. Im öffentlichen Diskurs. Gaslighting macht Menschen unsicher. Erst innerlich. Dann sozial. Und irgendwann systemisch – etwa, wenn autoritäre Politiker Fakten vernebeln und Schuld umdeuten. Die Folge: Orientierungslosigkeit.

Zwischen Lüge und Kontrolle: Wer Gaslightet, will Macht

Gaslighting ist keine bloße Lüge. Es ist ein Angriff auf die Realität der anderen Person. Wer das tut, will nicht nur recht behalten. Sondern Kontrolle. In toxischen Beziehungen dient es der emotionalen Abhängigkeit. In der Politik der Delegitimierung des Gegners.

Besonders perfide: Oft tritt Gaslighting freundlich auf. Mit einem Lächeln. Oder einer vermeintlich harmlosen Frage: „Sicher, dass du das so erlebt hast?“ Die Manipulation tarnt sich als Zweifel – und trifft dort, wo Menschen ohnehin unsicher sind.

Familie als Ort der Verdrehung

Viele Menschen erleben Gaslighting erstmals in der Familie. Wenn die eigene Kindheit klein-, um- oder weggerechnet wird. „So schlimm war das doch gar nicht.“ Oder: „Das bildest du dir ein, du warst doch noch klein.“ Wer solche Sätze oft hört, zweifelt irgendwann an sich selbst. Nicht, weil er lügt – sondern weil die eigene Wahrnehmung systematisch entwertet wird.

Das Tragische: Viele Betroffene fühlen sich nicht ernst genommen, selbst wenn sie die Wahrheit benennen. Die Folge: Scham, Rückzug, Selbstzweifel. Und manchmal ein Leben im Nebel.

Gaslighting erkennen – und durchbrechen

Gaslighting lebt davon, nicht erkannt zu werden. Darum braucht es Sprache. Und Zeugenschaft. Wer sich erinnert, darf widersprechen. Auch gegen Widerstand. Auch wenn es unbequem wird.

Wichtige Anzeichen für Gaslighting:
– Dein Gegenüber spricht dir regelmäßig deine Realität ab
– Du fühlst dich klein, unsicher oder „überempfindlich“, ohne zu wissen warum
– Deine Wahrnehmung wird als irrational, übertrieben oder lächerlich dargestellt
– Du entschuldigst dich häufig – ohne klaren Grund

Der Weg hinaus beginnt mit der Frage: Was, wenn ich recht habe?

Wahrheit braucht Raum

Wahrheit ist nicht verhandelbar. Aber sie braucht Schutzräume. Räume, in denen Gefühle gelten dürfen. In denen Menschen aussprechen können, was ihnen angetan wurde – ohne Beweislastumkehr. Ohne „Aber das war doch nicht so gemeint.“ Und ohne Gaslicht.

Denn wer immer wieder hört, dass seine Realität nicht zählt, verliert mehr als nur Vertrauen. Er verliert sich selbst. Und genau darum ist Gaslighting kein privates Problem. Sondern ein politisches. Ein kulturelles. Ein zutiefst gesellschaftliches Thema.

Und wer lügt hier eigentlich? Die Antwort liegt selten auf der Oberfläche. Aber sie beginnt dort, wo jemand sagt: Ich habe das so erlebt. Und ein anderer antwortet: Ich glaube dir.

Wann hast du zuletzt gezweifelt, ob du dir etwas eingebildet hast? Wie erkennst du Manipulation – in deinem Umfeld, in den Medien, in der Sprache? Teile deine Gedanken und höre anderen zu. Es geht nicht ums Gewinnen. Es geht um die Frage: Was ist hier wirklich passiert?

Quelle: MEEON #67
Text: Wer lügt hier eigentlich?
Bilder: MEEON
Video: MEEON