„Vielleichtvielleicht“ ist kein Fehler. Es ist ein Gefühl. Eine Haltung. Eine digitale Mimik des Zögerns. Man schreibt es so, wie man es lebt: doppelt, unsicher, schwebend. Als hätte ein einziger Zweifel nicht gereicht.

Diese Dopplung steht für etwas Größeres – für eine emotionale Gegenwart, in der Entscheidungen oft zur Zumutung geworden sind. Zwischen FOMO, FOBO und Fear of Feeling entwickelt sich eine Kultur, in der Unentschlossenheit keine Schwäche, sondern der neue Standard ist.

Dating ohne Entscheidung: Die Romantik der Unverbindlichkeit

Wer heute datet, lebt im Konjunktiv. Man „könnte ja mal“, „sieht dann weiter“ oder „schaut, was sich ergibt“. Dating-Apps machen das Einfachste kompliziert – und das Komplizierte einfach. Jeder Swipe ist ein kleines Vielleicht. Jeder Chat eine vertane Möglichkeit.

Serien wie Normal PeopleYouBeef oder The Idol inszenieren diese Form der emotionalen Schwebe mit Hochglanzästhetik: Intimität ist möglich, aber nie sicher. Zwei Menschen wollen sich – aber bitte nicht zu sehr. Psychologisch gesprochen: Nähe wird gesucht, aber auch gefürchtet. Bindungsangst, Ambivalenz, unerfüllte Selbstbilder – es ist nicht die Liebe, die fehlt, sondern der Mut, ihr zu begegnen.

Zwischen FOMO und FOBO: Die Angst vor Entscheidungen

Neben der Fear of Missing Out (FOMO) gibt es mittlerweile auch FOBO: Fear of Better Options. Die Angst, sich festzulegen, weil irgendwo noch etwas Besseres warten könnte. Eine kräftezehrende Dynamik, die längst nicht mehr nur das Liebesleben betrifft.

Die Entscheidungspsychologie zeigt: Zu viele Wahlmöglichkeiten machen unglücklich. Barry Schwartz nannte das schon vor zwanzig Jahren das Paradox of Choice. Heute ist es Alltag: beim Studium, bei der Jobwahl, beim Scrollen durch Netflix. Alles ist möglich – und genau das macht uns handlungsunfähig. „Vielleichtvielleicht“ ist in diesem Kontext keine Ausrede, sondern ein Symptom der Überforderung.

Popkultur als Spiegel: „I wish I knew…“

TikTok ist das Epizentrum dieser Gefühlslage. Songs wie Steve Lacy – Bad Habit („I wish I knew you wanted me“) oder Billie Eilish – Happier Than Ever erzählen Geschichten des Verpassens, der Vermeidung, der nicht getroffenen Entscheidung. Die Kommentarspalten darunter lesen sich wie Tagebücher: „Ich hätte was sagen sollen“, „das bin so ich“.

Auch die Serien-Ästhetik folgt dieser Linie: Charaktere, die wissen, was sie fühlen, aber es nicht aussprechen. Beziehungen, die nicht scheitern – sondern nie richtig anfangen. Vielleichtvielleicht als dramaturgisches Prinzip: Alles bleibt offen. Alles bleibt schwebend.

Ironie, Memes und die Angst, echt zu wirken

In einer Kultur, die sich selbst am liebsten ironisiert, ist Klarheit verdächtig. Wer Gefühle zeigt, macht sich angreifbar. Wer sagt, was er will, wirkt anstrengend. Also lieber ironisch bleiben – und unverbindlich. Memes, Edits und sarkastische TikToks erzählen vom Schmerz, aber mit einem Augenzwinkern. Als müsste man sich selbst entschuldigen, bevor es jemand anderes tut.

Psychologisch ist das ein klassisches Coping. Ironie schützt vor Verletzung, weil sie Distanz schafft. Doch diese Distanz kann auch lähmen. Wenn wir alles ins Lächerliche ziehen, bleibt irgendwann nichts mehr übrig, was wir wirklich meinen.

vielleichtvielleicht als Schutzschild vor einem „zu viel“

Emotionale Ambivalenz ist kein neues Phänomen. Aber sie wird durch die digitale Dauerpräsenz verstärkt. Wer ständig verfügbar ist, ist auch ständig vergleichbar. Wer sich entscheidet, verzichtet – und in einer Kultur der Maximierung ist Verzicht schwer zu ertragen.

Vielleichtvielleicht wird so zum Schutzschild vor einem Zuviel: zu viel Nähe, zu viel Festlegung, zu viel Risiko. Doch dieser Schutz hat seinen Preis. Denn wer sich nicht entscheidet, erlebt auch nichts ganz.

Klarheit ist unbequem – aber heilsam

Vielleichtvielleicht ist ein Echo unserer Zeit. Es klingt nach Freiheit, meint aber oft Angst. Es klingt nach Offenheit, meint aber oft Vermeidung. Und doch liegt darin ein ehrlicher Ausdruck unserer Gegenwart: Wir wissen oft nicht, was wir wollen – oder trauen uns nicht, es zu sagen.

Aber Klarheit ist möglich. Sie braucht Mut, Selbstkenntnis und den Willen zur Reibung. Wer heute „Ja“ sagt, sagt damit auch zu sich selbst. Vielleicht ist das nicht bequem. Aber es ist ein Anfang.

Kennst du das Gefühl von „vielleichtvielleicht“ aus deinem Leben? Ob in Beziehungen, Entscheidungen oder im Umgang mit dir selbst. Teile deine Gedanken – und lass uns Klarheit gemeinsam neu denken.

Quelle: MEEON #15
Text: vielleichtvielleicht – Die Kultur der vertagten Gefühle
Foto: MEEON