Mit Climate Station werden Klimadaten zur VR-Erfahrung – eindrucksvoll, irritierend, widersprüchlich. Eine App zwischen Bildung, Technologie und Green Branding.

Kann man den Klimawandel fühlen – oder nur verstehen?

PlayStation hat eine neue App veröffentlicht. Kein Spiel, kein Marketing-Gag, sondern eine Art interaktives Klimalabor. Climate Station nennt sich das Projekt – kostenlos für PS5 und PS VR2. Entwickelt wurde es in Kooperation mit der UN Playing for the Planet Alliance, unterstützt von Forschungseinrichtungen wie NASA, NOAA, Berkeley Earth und der University of Reading.

Die Idee ist simpel und radikal zugleich: Der Klimawandel soll nicht mehr nur gelesen, sondern erlebt werden. Visuell. Emotional. In Echtzeit. Auf einem rotierenden Globus im Wohnzimmer.

Vier Module, eine Mission: Daten begreifbar machen

Die App ist in vier Bereiche gegliedert:

Weather Year zeigt ein ganzes Erdjahr im Zeitraffer. Wolken, Temperatur, Luftfeuchtigkeit – ein atmender Globus mit ständigen Bewegungen.

Observations basiert auf historischen Klimadaten seit über 100 Jahren. Nutzerinnen und Nutzer sehen, wie sich CO₂-Konzentration, Temperatur und Meeresspiegel weltweit verändert haben – inklusive lokalem Fokus.

Projections erlaubt den Blick in die Zukunft: Fünf Szenarien zeigen, was bis 2100 passieren könnte – je nachdem, wie stark die Menschheit den Klimawandel eindämmt oder ignoriert.

Explainer Library liefert zusätzlich kurze Videoformate, in denen Begriffe wie „Kipppunkt“, „Strahlungsantrieb“ oder „Anomalie“ erklärt werden – gesprochen von Meteorologin Laura Tobin.

Das alles ist mit dem DualSense-Controller oder per PS VR2 steuerbar. Wer eine VR-Brille besitzt, taucht wortwörtlich in den Globus ein – dreht ihn mit den Händen, zoomt sich durch Jetstreams, steht über abschmelzenden Polkappen.

Beeindruckend? Ja. Aber reicht das?

Climate Station beeindruckt – durch technische Klarheit, durch wissenschaftliche Tiefe, durch visuelle Eleganz. Es ist kein Spiel, kein Erlebnispark. Es ist eine stille, gleitende Erfahrung. Und genau das macht sie stark. Aber reicht das?

Was fehlt, ist Handlung.
Die App zeigt Daten. Und noch mehr Daten. Sie lässt sie lebendig werden, aber nicht veränderbar. Wer Climate Station verlässt, hat viel gesehen – aber nichts entschieden. Keine Alternativen durchgespielt, keine Konsequenzen abgewogen. Es bleibt beim Erleben.

Was fehlt, ist Kontext.
Es gibt keine politischen Bezüge. Keine Wirtschaftsdaten. Keine sozialen Folgen. Klimawandel bleibt in der App physikalisch – nicht gesellschaftlich. Der Planet atmet, aber die Menschen darin bleiben unsichtbar.

Was bleibt, ist ein Widerspruch.
Eine App über ökologische Krisen – betrieben auf einer Hochleistungs-Gamingkonsole mit VR-System. Auch wenn Sony betont, dass die PS5 energieeffizienter geworden sei: Die Frage, ob digitale Bildung hier nicht neue Ressourcenprobleme schafft, steht im Raum.

Zwischen Wissenschaftskommunikation und Green Branding

Sony zeigt mit Climate Station, was möglich ist: eine datengetriebene Erfahrung, zugänglich, kostenlos, nicht bevormundend. Das verdient Respekt. Aber es bleibt ein schmaler Grat zwischen sinnvoller Bildungsinitiative und gut verpacktem Greenwashing.

Denn: Es geht hier nicht nur um Klima – es geht auch um Marke. Um Image. Um den Wunsch, als Unternehmen nicht nur Popcorn, sondern Haltung zu verkaufen. Die App funktioniert. Aber sie ist eingebettet in ein System, das sich nur schwer ganz vom Vorwurf des „ökologisch inszenierten Produktmarketings“ befreien kann.

Und trotzdem: ein Schritt in die richtige Richtung

Climate Station wird nicht die Welt verändern. Aber sie zeigt einen Weg. Sie macht deutlich, wie Klimabildung in digitalen Räumen aussehen könnte – ohne Erklärbärhaltung, ohne moralischen Zeigefinger. Sondern durch Präsenz. Und Perspektivwechsel.

Vielleicht ist das der eigentliche Gewinn: Dass jemand, der sonst nur Games spielt, zum ersten Mal eine Temperaturkarte in der Hand hält. Und dass aus dieser Hand vielleicht irgendwann eine Handlung wird.

Hast du Climate Station ausprobiert? Schreib auf Instagram oder TikTok, was du gespürt hast – nicht nur, was du gesehen hast. Und wenn du magst: Zeig uns deinen Datenpunkt auf dem Globus. Vielleicht beginnt Veränderung nicht im Parlament – sondern am Bildschirm.

Quelle: MEEON #36
Text: Klimawandel in 3D – Climate Station auf der PS5
Bilder: Sony Interactive Entertainment / UN Playing for the Planet Alliance